In der Nähe des 10. Breitengrades kann man einen Zeitsprung vornehmen. Bislang sind nur Menschen aus der Wikingerzeit, der Steinzeit und dem 19. Jahrhundert in unsere Zeit gewandert. Ich stelle mir den Weg zur Arbeit nervig vor, wenn viele Gänseliesel mit den Schnatterern auf dem Weg zum Markt unterwegs sind, Kleintiere in der Öffentlichkeit geschlachtet werden oder traumatisierte Steinzeitmenschen unangepasst auf dem Baum das für sie fremde Leben im Jahr 2021 beobachten. Welche Wirkung hätte das auf die Gesellschaft?
Darum geht es in dem Film „Fremvandrerne“ (Originaltitel, Auswanderer), der bei uns unter der englichen Übersetzung „Beforeigners“ in der ARD lief.
Das war einmal eine außergewöhnliche Idee. Durch ein Zeitloch springen viele Menschen aus der Steinzeit, der Wikingerzeit und des 19. Jahrhunderts in die See vor Oslo. Die Miniserie malt aus, wie die Personen und die norwegische Gesellschaft darauf reagieren könnte. Das alles wird verpackt in eine Mordermittlung, die der süchtige und auf das Abstellgleis verschobene Polizist Lars Haaland mit der neuen Kollegin Alfhildr Enginnsdottir betreibt. Alfhildr ist eine Zeitreisende aus der Wikingerzeit. Sie ist die erste Zeitreisende, die die Polizeiausbildung abschließen konnte. Sieht man von Alfhildrs unzutreffenden Angaben im Bewerbungsverfahren ab, ist sie eine Vorzeigemigrantin. Natürlich bekommt ihr Kollege heraus, dass sie bei den Wikingern Kriegerin (Schildmaid) war, die wegen ihrer Persönlichkeit nicht in den Polizeidienst eintreten dürfen. Es fällt Lars schwer, dies zu melden, denn Alfhildr bekommt mit, dass Lars süchtig ist. Er nimmt die starke Droge (Tempoxat), die sonst nur die Zeitwanderer bekommen, wenn sie Probleme mit der Anpassung an die Situation haben. Drogensüchtige dürfen nicht bei der Polizei arbeiten.
Der Film experimentiert mit dem Thema Migration. Denn im eigentlichen Sinne sind die Neuankömmliche keine Migranten. Sie waren vorher in dem Gebiet, das jetzt Norwegen ist und von den Norwegern bewohnt wird. In der Politik werden gesellschaftliche Problemlagen oft mit der Bildung von speziellen Behörden bearbeitet. Hier wird das „Ministerium für Neuankömmlinge“ gebildet. In den Straßen haben Sprayer Schmähsprüche an die Wände geschmiert („Beforeigners go home“). Die vorher gute Gegend, in der sich Lars eine Eigentumswohnung kaufte, ist jetzt heruntergekommen. In dem Komplex sind Zeitwanderer eingezogen, die dort auf den Fluren Ziegen schlachten. Für die einzelnen Gruppen der Neuankömmlinge gibt es Schulungskurse über das Verhalten in Norwegen (intressanter Imagefilm zum Thema sexuelle Selbstbstimmung und Schwulenehe). Sie haben eigene Nachrichtensender. Menschen mit „Multitemporalem Hintergrund“, so der politisch korrekte Begriff, nehmen alte Rivalitäten mit in die Neuzeit:
Ein als normaler Familienvater und Liferant lebender ehemaliger Wikingerfürst mit Namen Tore Hund wird ermordet, weil er seinerzeit den christlichen Märthyrer Olav den Dicken (Norwegischer König) in einer Schlacht tötete. Die Wikinger können nicht verstehen, dass sich offenbar die christliche Religion durchsetzte.
Ein Zitat bei der Trauerfeier der besten Freundin der Hauptdastellerin Urd Sighvatsdottir kennzeichnet die Darstellung der Wikinger schön:
Ein Feigling glaubt, er wird immer leben, wenn er Konflikte vermeidet. Doch die Zeit lässt ihn nicht lange in Frieden, obwohl er von den Speeren verschont wurde. Wir ehren dich, Urd Sighvatsdottir. Tochter des Feuers und des Blutes. Du ehrenhafte Kriegerin und Königin der Nacht. Möge dein Schwert für immer in Walhalla leuchten. Zweifele nie. Kämpfe immer. Zweifele nie. Kämpfe immer.
Beforeigners S1 E06, Die Erkenntnis, ab 33:27
Die Serie hat weitere nette Kleinigkeiten in Petto. Um Lars zu schmeicheln sagt Alfhildr, ihr gefalle die Musik von Bruce Springstone. Ich habe mich gefragt, wo ich das schon einmal gehört habe.
Ich freue mich auf die nächste Staffel, die zur Zeit gedreht wird. Die Serie ist noch bis Mitte April in der ARD-Mediathek zu sehen.